Illegales Badeidyll am Baggersee – Auto stürzte auf Zelt
am frühen Morgen des 20.08.1995
Ein scheinbar unbeschwerter Sommertag. Wolkenloser Himmel, das Gezirpe von Grillen klingt durch die Mittagshitze. Badegäste – Eltern mit Kleinkindern – tummelten sich gestern am Baggersee des Lübecker Stadtteils Krummesse. Die Idylle trügt. Ein Hauch von Benzin schwebt in der Luft. Wenige Meter entfernt liegen die Reste eines Plastikzeltes, daneben einige Glassplitter. Am Tag zuvor starb an dieser Stelle ein 17jähriges Mädchen aus Lübeck. Es hatte hier mit seinem Freund in einem Zelt übernachtet.
Doch die Badegäste sind ungebeten. Die Krummesser Bauern haben bisher vergeblich versucht, ihren Grund und Boden zu schützen. "Wir haben schon sooft einen Zaun gezogen, immer wieder wurde er niedergewalzt", klagt Elfriede K. . Die Bauersfrau, auf deren Grundstück das Unglück geschah, hat schon lange Ärger mit den Badegästen.
Ein brachliegendes Feld trennt Ortschaft und See. Das wild bewachsene Areal gehört den K. und wurde von den Besuchern oft als Parkplatz mißbraucht. "Nachts liefern sich hier die Jugendlichen sogar Auto-Rennen", erzählt die 54jährige. Bauer Johannes K. hat den Zufahrtsweg unzählige Male mit Stacheldraht verbarrikadiert. Zum letzten Mal am Sonntag, nachdem die Rettungskräfte abgerückt sind. "Nächstes Wochenende ist davon nichts mehr übrig", prophezeit seine Frau, während sie den Trampelpfad zum See hinuntersteigt. Der 13 bis 24 Meter tiefe See, ein See ohne Namen, liegt in einer sieben Meter tiefen Mulde. Überall Müll. Viele Bierdosen, offenbar von wilden, nächtlichen Zechgelagen. Bewohner der nahen sogenannten "Ringsiedlung" sind sauer über die ständigen Lärmbelästigungen, die vom See ausgehen. "Das ganze Gelände ist versaut. Dort herrschen chaotische Zustände. Da mußte wohl erst was passieren, bevor mal eingegriffen wird", schimpfte ein Anwohner.
Die Nacht zuvor: Die Rettungsmannschaften der Freiwilligen Feuerwehr Krummesse und der Berufsfeuerwehr klettern die Böschung zum See hinunter. "Anfangs war es ein ganz normaler Unfall", berichtet Brandoberinspektor Ralph Paul. Sechs Verletzte, die vier Jugendlichen aus dem Auto, die 17jährige Jasmin L. und deren 18jährigen Freund, mußten die Retter versorgen. Für Jasmin kam jede Hilfe zu spät. Das Auto, das die steile Böschung hinabgestürzt war, hatte sie erschlagen. Das Wrack lag einen Meter neben der Unglücksstelle, die vier Jugendlichen zeigten kaum Reaktionen.
"Die standen mit Sicherheit unter Schock", sagte Paul. Mehrere Zelte standen am Rand des Baggersee, erinnert sich der Berufsfeuerwehrmann, und auch ein Lagerfeuer brannte. Bei den Rettern herrscht Unverständnis und Betroffenheit. "Das war wirklich nichts Alltägliches."
Alle Beteiligten dieses Dramas kommen aus Moisling, die vier Jugendlichen (drei von ihnen werden der Skinhead-Szene oder deren Umfeld zugerechnet, einer von ihnen ist vorbestraft) und das Opfer. Der offenbar angetrunkene Fahrer des Wagens, der 20jährige Jan R. wohnt nur etwa 500 Meter von Jasmins Elternhaus entfernt. Gestern stand der Jugendliche noch immer unter Schock, er kann nicht verstehen, was geschehen ist. "Er versteht die Welt nicht mehr", sagt ein Bekannter der Familie. Die Kripo ermittelt jetzt wegen fahrlässiger Tötung gegen Jan R.
Der Ort des Unfalls – gestern tummelten sich schon wieder einige Badegäste hier. Eine Anwohnerin kann die Aufregung der Bauern nicht verstehen. "Wenn wir gehen, nehmen wir unseren Müll mit" , versichert die 39jährige Krummesserin, die gestern mit ihrer Tochter zum Schwimmen gekommen war. "Privatbesitz? Hier ist es doch schön."
Quellennachweis: Lübecker Nachrichten vom 22.08.1995
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